Mit dem Rad durch die Geschichte
Ob Grass oder O’Brien, Ionesco oder Twain, Zola, Beauvoir oder Kisch – der Literat von Welt fährt Rad und schreibt darüber. Denn das Fahrrad, und wir haben es immer schon geahnt, bringt Gedanken und Weltgeschichte voran.
Natürlich gefällt das den Herrschenden nicht immer. In Preußen wurde das Laufradeln 1820 untersagt, später liefen Kutscher und besorgte Männer Sturm gegen die Entwicklung der Zeit. Den einen wurden die Untertanen und Kunden abspenstig, die anderen sorgten sich um Tugend und Moral. Schließlich „kann es keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn die betreffenden Individuen es wollen, kaum eine Gelegenheit zu vielfacher und unauffälliger Masturbation so geeignet ist, wie sie beim Radfahren sich darbietet. Wenn das zarte Geschlecht absolut das Bedürfnis zur Bethätigung seiner Strampelkraft fühlt, so kann es diese ebenso gut an der Nähmaschine efektuieren.“ In den Radfahrclubs gab es derweil Streit, ob man Frauen aufnehmen müsse und welches Stimmrecht sie haben dürften.
Sehr kurzweilig radelt Autor Elmar Schenkel seinen Leser über diesen und andere Kantsteine der letzten 150 Jahre unserer (Radfahr-)Geschichte hinweg. Unterwegs haben indes nicht nur die Damen zu kämpfen. Trägt der auf Sicherheit gehende Radler heutzutage Helm und Signalweste, bevorzugten unsere Ahnen den aktiv schützenden Weg: Noch um 1900 war es üblich, beim Radeln Peitschen, Ammoniakschwämme, Salz-Pfeffer-Pistolen oder Radfahrer-Bomben mit sich zu führen, um sich gegen renitente Kutscher, Fußgänger oder Hunde wirksam zu schützen.
Bevor der bewaffnete Kampf mit dem Verkehrsgegner aufgenommen werden kann, muss der geneigte Pedalist jedoch zunächst einmal sich selbst besiegen und das flüssige Trampeln oft schmerzvoll erlernen. Leo Tolstoi etwa schwang sich mit 68 Jahren erstmals auf ein Velo und notierte in seinem Tagebuch: „Ich brauche nur ein Hindernis zu sehen und schon fühle ich mich unwiderstehlich angezogen, bis ich schließlich darauf pralle. Das ereignet sich vor allem mit einer dicken Dame. Ich frage mich, ob es nicht ein schicksalhaftes Gesetz ist, daß gerade die Dinge, die wir zu meiden suchen, jene sind, die wir am meisten anziehen.“
In der „Cyclomanie“ lesen wir, wie früher die Fahrer bei der Tour de France ihre gebrochenen Gabeln noch selbst zu schweißen hatten, wie die ersten Weltumradler gefeiert wurden und dass man im Iran auf „wunderbaren Wildpferden“ unterwegs ist, während in Kirgisien „Teufelskarren“ ihren Zweiradweg finden.
Schenkel berichtet von mit wechselnden Erfolgen gekrönten Radreiseversuchen über die Pole und die Niagarafälle. Offenbar ist „das Fahrrad auch für andere als die bewohnbaren Welten gemacht. Und was ist mit den Aliens? Es ist anzunehmen, dass sie sich eher für unsere Fahrräder als für unsere Autos interessieren werden. Letztere führen zur Rakete und zur Weltraumfahrt, und das ist ein Weg, den die Aliens auch gegangen sein müssen, um uns zu erreichen. Doch mit dem Fahrrad werden wir sie in Erstaunen setzen.“
Dieses Buch macht kluch. Lesen!
Elmar Schenkel,
Cyclomanie. Das Fahrrad und die Literatur.
Edition Isele, 175 Seiten, 13 Euro