„Berliner Autofahrer stehen im Schnitt mehr als 70 Stunden im Stau“ titelte die Berliner Zeitung am 10. Januar 22. Siebzig Stunden Lebenszeit.
Das ist noch mehr als in den Jahren zuvor – und hat zwei vordergründige Ursachen: Zum einen wächst Berlin. 2012 lebten hier noch 3,3 Millionen Menschen, heute sind es 3,8 Millionen. Zum anderen steigt auch die Autodichte hier wie im ganzen Land: In Deutschland gab es vor zehn Jahren noch 41,3 Millionen Pkw, heute sind es 48,6 Millionen; in Berlin stieg die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge innerhalb der vergangenen fünf Jahre um immerhin rund 41.000. Zwar besitzen nach wie vor mehr als die Hälfte der in den Innenstadtbezirken lebenden Hauptstädter kein Auto, betroffen von der auch in Berlin zunehmenden Kfz-Dichte sind sie trotzdem – etwa durch Abgase, Lärm und Unfallgefahr.
Und es gibt nicht nur immer mehr Autos – sie werden im Alter auch immer größer bzw. dicker: Der VW Golf zum Beispiel war bei seiner Entwicklung 1974 noch 17 Zentimeter schmaler als heute. Und ist jetzt trotzdem noch ein Hänfling im Vergleich zu den als SUV bezeichneten modernen Minipanzern, die inzwischen ein Fünftel der Neuzulassungen ausmachen.
Die Anzahl der zugelassenen PKW steigt also rapide, gleichzeitig werden einzelne Modelle immer voluminöser – aber nicht mobiler: Durchschnittlich 23 Stunden täglich steht ein Auto auf sogenannten Parkplätzen und blockiert dort menschliche Mobilität und Raum. Denn wo ein parkendes Auto steht, kann kein Kind spielen, kann kein Rad fahren, kann kein Mensch unter einem Baum auf einer Parkbank sitzen. Für jeden Pkw werden drei Parkplätze von Straßenbauingenieuren eingeplant: einer vor dem zu Hause des Besitzers, einer in der Nähe des Arbeitsplatzes und ein dritter an Orten, wo man sonst so hin möchte, etwa zum Einkaufen oder Essengehen. Das macht nach der heutigen Parkplatznormgröße 33 Quadratmeter Flächenverbrauch (und Flächenversiegelung) – ausschließlich fürs Abstellen eines nicht genutzten Privatbesitzes: 33 Quadratmeter Fläche pro Stehzeug.
Übrigens passen viele der heute immer größer geplanten und gebauten Autos gar nicht mehr auf herkömmliche Parkplätze – weshalb vom „Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger“ (BVS) bereits gefordert wird, Verkehrsplaner hätten sich an die neue Realität anzupassen. Auf die Forderung, Autobauer müssten ihre Modelle an die Realität vom gemeinschaftlichen Zusammenleben in Städten oder auch nur an real existierende Parkhäuser, Fähren und allgemein beschränkte Platz anpassen, kommen die qualifizierten Sachverständigen nicht.
Stattdessen wird „Stau“ als ein Problem zur Kenntnis genommen, dem nur mit einem „noch mehr vom selben“ beizukommen ist: Am 10.01. melden die regionalen Zeitungen, dass Berliner Autofahrer 2022 besonders viel Zeit im immobilen Kfz auf der A 100 verbrachten. Am 11.01. ist ebendort zu lesen, dass die A 100 nach dem Wunsch des Bundes bis 2035 in den Prenzlauer Berg verlängert wird. Reine Baukosten: 1,5 Milliarden Euro, gratis obendrauf mehr Asphalt, Lärm und Gestank. An der im Stau verbrachten Zeit von Autofahrern dürfte sich jedoch nichts verkürzen. Schließlich ziehen Straßen seit jeher Verkehr an – und deshalb muss, wer am Stauproblem tatsächlich etwas ändern möchte, alternative Verkehrsmöglichkeiten ausbauen oder anlegen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem gut funktionierenden, preiswerten, sicheren und sauberen ÖPNV – und / oder (deutlich kostensparender): mit einer sicheren, schnellen Radinfrastruktur? Die Mittel, um darauf zu fahren, stehen bereit: Die Deutschen besitzen 78 Millionen Fahrräder.